Umfassender Bereich:
Wer immer glücklich ist und sich wohl fühlt, wird nie philosophieren. Philosophie ist die Suche nach Antwort auf die Frage: Wer bin ICH in dieser WELT?
Diese Frage kann nur stellen, wer "nicht ganz von dieser
Welt" ist. Nur wer eine Kluft fühlt zwischen Sich und
der Welt, wird diese Kluft schließen wollen.
Niemand wird behaupten wollen, immer glücklich und zufrieden
zu sein. Aber nicht alle Menschen philosophieren. Viele verdrängen
ihre Differenz oder schütten sie mit materiellen Gütern
und Bestrebungen zu. Nächstes Jahr eine weitere Urlaubsreise,
ein größeres Auto, noch ein Karriereschritt... irgendwohin
führt jedes Bestreben. Daß alle Menschen ein tieferes
Streben in sich haben, beweisen vor allem diese materiellen Versuche,
es befriedigen zu wollen. Das zumindest unterscheidet uns alle
von den Tieren.
Die Frage nach dem ICH und der Welt gibt sich nicht zufrieden
mit der Antwort: "Ich bin anders als alles Andere".
Dies macht einsam und das hält niemand gern lange aus. Das
ist dann der - manchmal sehr verzweifelte - Ausgangspunkt, von
dem aus wir nach Geborgenheit und Verbundenheit suchen.
Der kürzeste Weg zu einer Einheit ist die Vorstellung, die
Trennung sei nur ein Irrtum. In Wirklichkeit bin ich geborgen,
verbunden mit der Welt - ich muß es nur erst wieder wissen
und fühlen. Meditationen und esoterische Übungen könnten
mich dahin bringen und ich brauch nicht darüber nachzudenken.
Im Gegenteil - das Nachdenken könnte ja gerade schuld daran
sein, daß ich mich in einen Gegensatz zur restlichen, nichtdenkenden
Welt gesetzt habe.
ICH bin getrennt von der Welt. Ich "verschwimme nicht in
ihr". Alles, was ich tue, ist MEIN Verhalten (auch wenn ich
nur "mitschwimme"). In jedem Moment muß ich entscheiden,
was ich tue.
Ich habe die Wahl - nur welche Wahl habe ich?
Dies ist die große philosophische Frage. Was geschieht, wenn ich irgendeine Wahl treffe? Dazu muß ich als erstes wissen, wie sich das von mir Unabhängige, die Welt außer mir, selbst verhält.
Ich muß im voraus abschätzen können, welche Handlungen
welche Wirkungen hervorrufen. Deshalb muß ich möglichst
viel über immer wieder auftretende Zusammenhänge in
der Welt wissen. Die Wissenschaft gibt mir Antworten auf diese
Frage.
"Wissen ist Macht" - damit meinte Francis Bacon die
Begründung der Macht der Menschheit, wenn sie die erkannten
Naturgesetzlichkeiten in ihrem Interesse ausnutzen kann. Die Erkenntnis
konzentrierte sich deshalb auf Zusammenhänge, die unter bestimmten
Bedingungen notwendig wirken. Durch eine "Manipulation"
dieser Bedingungen kann ich die Kräfte der Natur für
mich wirken lassen. Dieses Wissen über ein Netz notwendiger
Zusammenhänge bringt eine Teilantwort auf die Frage nach
der Einheit von MIR und der Welt. Auch ich hänge in dem gemeinsamen,
bergenden Netz zuverlässiger Notwendigkeiten. Jedoch: ein Netz kann tragen - aber auch fesseln. Wo bleibt angesichts dieser vielen Notwendigkeiten die Freiheit???
Freiheit, als die Fähigkeit, mit Sachkenntnis entscheiden
zu können (Friedrich Engels), braucht also die Sachkenntnis
(der Gesetze). Aber die Entscheidung braucht einen offenen Raum,
in dem wirklich MIR die Wahl bleibt und sie nicht schon wieder
vorgeschrieben ist. Immanuel Kant trennte deshalb methodisch die erkennbare Welt der natürlichen, sich gesetzlich verhaltenden Erscheinungen von einer unerkennbaren Welt der sogenannten "Dinge an sich". Erscheinungen sind als notwendig erkennbar, die andere Welt hält sich offen gegenüber freien, sittlichen Entscheidungen der Menschen. Diese Offenheit wird mit der vielkritisierten Nicht-Erkennbarkeit bezahlt (denn wenn es erkennbar wäre, wäre es notwendig und hätte deshalb keinen Raum für Freiheit). Der Mensch selbst ist bei Kant "Bürger beider Welten", wobei die freie, moralische für ihn wichtiger ist und er den Nachweis der Nicht-Erkennbarkeit der Dinge an sich als Fundament für diese braucht.
Schelling wird Kant später kritisieren: es beherrscht uns
zwar keine objektive Wahrheit - es gibt noch etwas Offenes. Die
Begründung dafür sieht Kant nur in einer Einschränkung
unseres Erkenntnisvermögens - dies ist für Schelling
nur ein "demüthiges Bekenntnis". Er möchte
lieber, daß es nicht nur ein Mangel im Erkennen ist, das
dem Menschen Freiheit offen läßt, sondern daß
das Wesen des Menschen selbst die absolute Freiheit sei.
Auch Johann Gottlieb Fichte will sich
nicht auftrennen in "zwei Bürger". "ICH=ICH"
ist sein Credo. Mensch und Natur sind zwar gemeinsam durch eine
übergreifende Kraft entwickelt und verbunden - aber die Natur
wird für ihn sofort unwichtig. Ihn interessiert nur die Freiheit
- und die sieht er nur im Menschen als aktivem Subjekt verbürgt.
Diese Naturvergessenheit Fichtes kritisiert dann sein Jenenser
Kollege Friedrich Joseph Schelling. Ihm
geht es um den Zusammenschluß des bewußten und
freien Handelns des Subjekts mit der unbewußten, notwendigen
Gesetzlichkeit des Natürlichen, Objektiven. Sein Grundsatz
ist "ICH BIN!", was das Sein mit einschließt.
Auch im Sein muß deshalb etwas Freiheitliches sein. Er sieht
die Quelle der Freiheit in der allgemeinen Produktivität
der Natur, die den Menschen als eine ihrer Schöpfungen mit
umfaßt. Er warnte bereits vor einer möglichen Naturvergessenheit
der Menschen und mahnte die Rückbindung an die Produktivität
der Natur an. Deshalb ist Schelling heute so aktuell. Daß
Schelling in der späteren systematischen Ausarbeitung dieses
Anliegens den Entwicklungsgedanken wieder aus den Augen verliert,
und bei der Suche nach einer "allgemein überzeugenden
Religion" landet, darf kein Hinderungsgrund sein, ihn näher
kennenzulernen.
Georg Wilhelm Friedrich Hegel schreibt als erste größere
Schrift über die "Differenz des Fichteschen und Schellingschen
Systems". Er verteidigt darin Schellings Ansatz gegenüber
Fichte. Selbst folgt er Schelling aber auch nicht ganz. Er hat
kein wirkliches Verständnis für die Natur. Weil er den
Menschen vorwiegend als ein Wesen sieht, das sich aus einer ursprünglichen
Natur gelöst hat, vergißt er über der Betonung
des Neuen die ursprüngliche Natur. Das menschliche Bewußtsein
ist für Hegel nur eine Durchgangsstufe der Entwicklung des
objektiven Geistes, dessen streng ableitbaren Gang er mittels
der dialektischen Methode nachvollzieht. Durch diese Strenge verschwindet
die Freiheit. Die dialektische Methode ist aber wichtig zum Verständnis
von Veränderung und Entwicklung. Hegel wendet sie auf die
verschiedenen Stufen des der Entwicklung Bewußtseins an
und nicht auf real vorhandene Dinge.
Der Marxismus stellt Hegel "vom Kopf auf die Füße",
indem er die dialektische Methode übernimmt (ob diese vom
System trennbar ist, ist ein alter Streit dabei). Widersprüche
im Innern (bei Hegel wäre es das innere Bestimmte des Begriffs,
nun werden bestimmte objektive Dinge als Einheiten verwendet)
führen zu einer unaufhaltsamen Veränderung bis hin zu
qualitativen Sprüngen in neue Grundqualitäten. Dies
war bei Schelling in dieser Deutlichkeit noch nicht enthalten
und ist deshalb unverzichtbar.
Eine Öffnung der strengen Logik der Dialektik versuchte in
diesem Rahmen Herbert Hörz, der den Gesetzesbegriff
für Aspekte mit Wahrscheinlichkeiten ausweitete und damit
jeweils ganze Möglicheits- und Bedingungsfelder erfaßt
und die strenge Notwendigkeit Hegels bei Beibehaltung seiner Methode
(Veränderung bis zum Qualitätssprung...) aufsprengt.
Eine Weiterführung der Schellingschen Gedanken soll hier
nur angedeutet sein: Ernst Bloch betonte grundsätzlich auch
die "Utopie der Natur", die Tatsache, daß erstens
der Mensch ein Ergebnis der Naturaktivität ist und die Natur
selbst ein schöpferischer Partner für die Menschen innerhalb
einer Allianz-Technik sein kann.
Man könnte also eine Philosophiegeschichte nur aus dem Aspekt
des Freiheitsgedankens heraus schreiben. Andere Aspekte würden
andere Seiten bei den Philosophen betonen, deshalb sind die hier
skizzierten Bezüge nicht die allgemeinsten.
Als historische Gegenreaktion gegen die strenge Systematik der
"alten" Philosophie stellt die Lebens-und Existenzphilosophie
in unserem Jahrhundert die gleichen alten Fragen. Sie vermißte
die Menschen in den großen Systemen und frage "einfach"
nach der Existenz des Menschen. Sie sehen die Menschen in die
Welt hineingestellt, geworfen und nicht nach großen Systemen
fragen. Sie müssen nur einfach immer wieder handeln, entscheiden
und darüber nachdenken. Das Besondere des Menschseins betonen
sie durch ihre Begriffsverwendung. Während alle unbelebten
Dinge einfach nur "sind", "sind" die Tiere
schon "da", während der Mensch "existiert".
Die Unterschiede von "Sein", "Dasein" und
"Existenz" sollen nur betonen, daß in jeder Form
eine neue Art von Freiheit möglich ist, das Möglichkeitsfeld
- und damit die Anforderung der Wahl - größer ist.
Bisher wurden (in der DDR) diese Denkweisen als Ausdruck "spätbürgerlicher
Orientierungslosigkeit" abqualifiziert. Aber die grundlegenden
Fragen kommen sicher jedem denkenden Menschen irgendwann einmal
"im stillen Kämmerlein".
Einfacher wird es also nicht. Das Verhältnis von Freiheit
und Notwendigkeit ist nicht einfach und nicht ein für allemal
zu klären. Wir müssen die Notwendigkeiten kennen und
sie frei verändern können. Wir können Passivität
nicht mit "Unveränderbarkeit der Welt" entschuldigen
und wir dürfen uns nicht einbilden, alles könne
ganz nach unserem (meinem und deinem...) Kopf und Wollen eingerichtet
werden.
Deshalb wird es auch immer wieder Menschen geben, die das, worüber
sie nachdenken, mit Recht Philosophie
nennen.
siehe auch:
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