Die moderne Technikentwicklung folgt einerseits
den Vorgaben des globalisierten Weltmarktes - andererseits steht
sie unter dem Vorwurf, zu einem großen Anteil die lokal
aufflammenden und überschwemmenden, letztlich globalen ökologischen
Probleme mit zu verursachen.
Die 1994 erschienene wissenschaftliche Studie
"Zukunftsfähiges Deutschland" wies nach, daß
die Stoff- und Energiedurchflüsse unserer Produktion wesentlich
gesenkt werden müssen. Auf einem um ca. 80% niedrigerem Energieverbrauchsniveau
kann dann eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft zukunftsfähig
sein.
Die derzeitig vorherrschende industrielle Produktionsweise,
verbunden mit Massenproduktion und enormen Energieverbrauch ist
auf jeden Fall nicht in die nächsten Jahrhunderte fortschreibbar.
Insofern haben sich die seit den siebziger Jahren warnenden Stimmen
nicht nur als Schwarzseherei erwiesen. |
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Die industrielle Großproduktion beruht maßgeblich auf den wissenschaftlich gestützten Methoden der Arbeitsteilung. Gegenüber der handwerklichen Produktion war es für die Industrialisierung notwendig, das Allgemeine und Wesentliche in der Vielheit der handwerklichen Künste zu erkennen und herauszuheben. Diese Systematisierung erfolgte durch den von 1739 bis 1811 lebenden Universalgelehrten Johann Beckmann, der u.a. die Linnésche Systematisierung der Organismen als Vorbild hatte. Auf diese Weise wurden Johann Beckmanns Arbeiten die wichtigste Voraussetzung für die jetzige Produktionskultur. Die Entflechtung der Arbeitszusammenhänge, die taylorisierte Neuzusammensetzung, letztlich die moderne Entfremdung zwischen konkretem Arbeitsgang und Produkt wurden in technischer Hinsicht von Beckmann befördert, auch wenn er selbst in der aufkommenden Maschinisierung ihre Künstlichkeit stark kritisierte und ihre sozialen Folgen in seinen Schriften deutlich kenntlich machte.
Aber was war die Frage?
Eine solche Beurteilung des Werkes von Johann
Beckmann wäre jedoch mehr als einseitig und wird ihm nicht
gerecht.
Im Rahmen der Vorbereitung des Internationalen
Johann Beckmann-Symposiums vom 24.-25. Oktober in Jena hatte ich
die Gelegenheit, mich ausführlicher mit Beckmanns Leben und
Werk zu beschäftigen. Ich saß im Lesesaal der Universität
mit Laptop ausgerüstet vor fast 200 Jahre alten Büchern
und mußte beim Lesen immer wieder bedauern, daß die
maßgeblichen Texte von Beckmann, wie die "Anleitung
zur Technologie oder zur Kenntniß der Handwerke, Fabriken
und Manufacturen" und die "Beiträge zur Oeconomie,
Technologie, Polizey- und Cameralwissenschaft" nicht als
Neuauflage zur Verfügung stehen. Johann Beckmann beschrieb
die Landwirtschaft konkreter Regionen sowie die verschiedensten
Handwerkskünste fachmännisch versiert und anschaulich.
Für Menschen mit Ambitionen, naturnäher leben und arbeiten
zu wollen (Öko-Dorf etc.) wären diese Schriften eine
wahre Fundgrube von Wissen, das seit einigen Generationen verloren
gegangen ist. Für die Thüringer Region empfiehlt Beckmann
"Hopfen, Hanf, Krapp, Toback und Anis". Auch hier in
der BIOSPHÄRE fand ich viele wesenverwandte Projektbeschreibungen
(Pflanzenfärberei, Naturgarten, Filzen...), die jetzt in
der Johann-Beckmann-Bibliothek in Hoya, dem Geburtsort Beckmanns,
aufbewahrt werden.
Aber nicht nur diese Beschreibungen der früheren
Techniken, von denen wir viele wieder aufgreifen können,
macht Beckmann so interessant.
Das erwähnte Symposium in Jena stand unter
dem Motto: "Technologie auf dem Weg ins 21. Jahrhundert.
Johann Beckmann gestern, heute und morgen". Immer wieder
konnten sich die Referenten auf Johann Beckmanns konsequente ganzheitliche
Betrachtungsweise in allen Fragen seiner vielseitigen Tätigkeit
in Lehre und Forschung beziehen. Material- und Warenkunde stehen
bei ihm in engem Bezug zu den Verarbeitungsprozessen und dem Handel
und lassen auch Verwaltung und Recht nicht außer Betracht.
Umweltprobleme in größerem Maßstab traten noch
nicht auf, wohl aber denkt Beckmann über gesundheitliche
Schädigungen durch die Anwendung von Chemikalien z.B. bei
der Filzhutherstellung nach und orientiert auf regionale Wirtschafts-
und Handelskreisläufe. In der Johann Beckmann-Gesellschaft arbeitet seit längerem eine Arbeitsgruppe an der Aufarbeitung des Gedankengutes von Johann Beckmann im Zusammenhang mit der modernen Nachhaltigkeits- (sustainability-) Diskussion. Deshalb bezogen sich 4 der 10 Beiträge von Vorträgen explizit auf die nachhaltige Zukunftsorientierung aus dem Erbe Johann Beckmanns. Als Veranstalter des Symposiums wirkten die Johann-Beckmann-Gesellschaft e.V., die Ingenieur- und Wirtschaftsakademie "Johann Beckmann" e.V., das Institut für Fügetechnik und Werkstoffprüfung GmbH Jena sowie die Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Die Vorträge werden von der Johann Beckmann-
Gesellschaft veröffentlicht.
Anknüpfungspunkte für eine aktive
Zukunftsgestaltung sind also nicht nur die traditionellen handwerklichen
und landwirtschaftlichen Methoden, die Beckmann beschreibt, sondern
die Orientierung auf eine ganzheitliche Zusammenführung der
inzwischen getrennten Wirkungsbereiche menschlicher Aktivität
wie Produktion, Umwelt, Verwaltung, Recht und Soziales. Diese
Zusammenführung wird nicht "zurück ins Mittelalter"
führen, sondern eine Neuintegration der inzwischen entwickelten
neuen menschlichen Fähigkeitspotentiale und technischer Arbeitsmittel
ermöglichen, die auf höherer Ebene menschliche Bedürfnisse
umfassend befriedigt - aber die Natur nicht schädigt. Es
ist ja nicht das Aufhäufen stofflichen und energetischen
Mülls, das uns glücklich macht, sondern die Befriedigung
von Bedürfnissen, die außer mit Dingen auch durch soziale
Kontakte und nichtstoffliche Dienstleistungen oft sogar besser
befriedigt werden könnten. Diese neue Wirtschaftsweise wird
die Natur auch nicht unberührt lassen können - aber
im Sinne einer "Allianztechnik" (Ernst Bloch, siehe
auch Schlemm 1995) zu neuen kulturell geformten ökologisch
fließenden Kulturlandschaften gestalten.
Tendenziell ist zu untersuchen, ob die Verwirklichung
neuartiger Technikkonzepte, wie sie mit der sog. "biokybernetischen
Technik" (Vester), "selbstorganisierende Technik"
(Bloch, Maier), "intermediate technologiy" (Schumacher)
und Allianztechnik (Bloch) inzwischen weltweit von vielen Menschen
und Gruppen vorgestellt und auch ausprobiert werden, wieder systematisch
erforscht und in neuen Produktions- und Wirtschaftskonzepten zusammengeführt
werden können. Dabei kann man dann - ganz im Beckmannschen
Sinne - nicht bei einer rein technikorientierten Betrachtung stehenbleiben,
sondern muß neben der Ökologie die Produktionsdemokratie
(Mitbestimmung über Produktentwicklung), soziale Zusammenhänge
und menschliche Emanzipation und Entfaltung berücksichtigen.
Als Grundlage dieser Arbeiten kann die Typisierung
dienen, die H.Hörz für die Wissenschaften in konkret-historischen
Produktionsweisen eingeführt hat (Hörz 1986). Diese
wäre für Techniktypen zu konkretisieren und Aussagen
für zukünftige tendenzielle Möglichkeitsfelder
zu treffen.
Auch für die Technikgestaltung gilt:
Ergänzende Literatur: Beckmann, J., Beyträge zur Oekonomie, Technologie, Polizey und Cameralwissenschaft, Göttingen 1779 Beckmann, J., Anleitung zur Technologie oder zur Kenntniß der Handwerke, Fabriken und Manufacturen..., Göttingen 1802 Hörz, H., Gibt es einen neuen Wissenschaftstyp der wissenschaftlich-technischen Revolution?, In: Zeitschrift für Wissenschaftsforschung, Sondernummer 3, Band 3/Heft 3 August 1986, S. 25-34
Schlemm, A., Von der Überlistungs-Technik
zur Allianz-Technik, In: BIOSPHÄRE Nr. 3, Juni/Juli 1995,
S. 11-13
Autorin:
Dipl.-Phys. Annette Schlemm |