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Rezension von Annette Schlemm: Kim Stanley Robinson: Roter MarsWilhelm Heyne Verlag München, 1997 Am Anfang ist der Mars rot. Durch
das gestalterische Einwirken der ihn besiedelnden Menschen ergrünt er und wird
schließlich zu einem blauen Planeten wie die Erde. Der 1992 erschienene erste
Band „Roter Mars“ gehört zu einem dreibändigen Marszyklus, der die Besiedlung
und Umgestaltung des Mars umfassend erzählt. Die erfasste Themenbreite reicht
von aerologischen, marsatmosphärischen, ökologischen Fragestellungen bis hin zu
einer breiten Palette möglicher Gesellschaftsformen.
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Kim Stanley Robinson, der
vorher eine Trilogie über alternative Geschichten im selben Ort schrieb,
benutzt diese Romane wieder zum Austesten verschiedener denkbarer Strategien
des Lebens einzelner und ganzer Gemeinschaften.
Der erste Band der Mars-Trilogie
beschreibt das Geschehen der Marsbesiedlung von der Landung der ersten 100
Siedler bis zu einem Umbruch, einer fast unbeabsichtigten „Revolution“, bei der
Dutzende der ersten Hundert umgebracht werden und die restlichen sich in
unwirtlichen Gebieten verstecken müssen. Am Anfang ist vieles noch offen. Alles
erscheint möglich. Die ersten Hundert sind vorwiegend Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler. Sie hoffen darauf, sich ihre neue Welt nach Maßgabe der
Vernunft einrichten zu können – aber schon hier gibt es unterschiedliche
Ansichten von Vernunft. Sofortiges Terraforming wollen die einen – dagegen
verlangen andere, den Mars in seiner ursprünglichen Form so weit wie möglich zu
erhalten. Einige haben die Hoffnung, hier zu „fundamental anderen Wesen“ werden
zu können – während andere meinen, sie würden lediglich „ihrer selbst ähnlicher
denn je“. Die Voraussetzung EINER Vernunft für alle führt zu Verärgerung: „Er
denkt, wir seien auf den Mars gekommen, um eine gute alte amerikanische
Superkultur aufzubauen... Er begreift nicht, daß andere Leute andere Meinungen
haben.“ (S. 24). Dieser Konflikt kann tödlich enden...
Die Leser gehen mit dem Wissen um
diesen Konflikt und seinen Ausgang in die ersten Flugstunden auf dem Weg zum
Mars. Vorwiegend Russen und Amerikaner lernen hier, gemeinsam zu leben. Jene,
welche die Reise und den Mars als Chance sehen, die Welt zu verändern, stoßen
auf andere, die endlich nichts mehr von Politik hören wollen. Robinson
besiedelt die Ares und später den Mars mit Protagonisten typischer Standpunkte.
Ein wenig leiden die Figuren dadurch, denn ihr Eigenleben ist recht stark durch
die Typisierung eingeschränkt. Sie kommen mir beim Lesen kaum als Menschen
nahe, obwohl auch Liebe, Leid, Begeisterung und andere Emotionen auftreten.
Die Situation wird komplizierter,
als tausende weitere Siedler zum Mars kommen. Zu Beginn bestand die Hoffnung,
daß der Mars nach einem ähnlichen Abkommen wie dem für die Antarktis verwaltet
werden solle – unter Mandat einer internationalen Behörde der UN und unter Ausschaltung
reiner Profitinteressen. Auf der Erde ist die Wirtschaft jedoch langsam am Ende
und es wächst das Interesse, durch die Expansion in Richtung Mars neue Kräfte
zu gewinnen. Das Kapital, das die Marsianer zuerst in ihrem Interesse
heranholen, unterwirft sie schließlich auf subtile Weise. Transnationale
Konzerne machen sich breit. Und auch auf der Erde wird inzwischen die Antarktis
ausgebeutet... Ein Raumlift zwischen
Mars und einem nahen Asteroiden macht technisch die Ausbeutung der Ressourcen
des Mars für die Erde profitabel. Der Mars wird einerseits zur reinen Kolonie –
andererseits hat er auch genug entgegenstrebende Kräfte an sich gezogen, die
sich an verschiedenen Stellen ansiedeln und aufbauend auf ihren verschiedenen
Traditionen neue Lebensweisen ausprobieren. Die auf der Erde herrschende
Ökonomie ist plötzlich nicht mehr ganz alternativlos. Und auch so etwas wie
eine vernetzte Widerstandsbewegung gibt es.... In ihr wird diskutiert, was auch
heute auf der Erde für solche Bewegungen aktuell ist: Sollen wir uns autark und
unabhängig machen? Sollen wir eine Revolution machen, „Direkte Aktion“ (S.
485)? Oder müssen wir etwas ganz Neues erfinden, „Methoden, die unserer realen
Situation angepasst sind, und keine revolutionäre Phantasie aus den
Geschichtsbüchern“ (S. 491)?
Der erste Band endet mit einem
großen Knall. Die Widersprüche entladen sich gewaltsam. Die Transnationalen
übernehmen die Macht und die ersten Hundert müssen sich verstecken... und 40
Jahre lang warten und trotzdem weiter leben bis zum zweiten Band, dem „Grünen
Mars“.
Kim Stanley Robinsons „Roter
Mars“ ist ein gelungener Auftakt der Trilogie. Alle Spannungsbögen werden
ausgefüllt, die verschiedenen Debatten sind gut in das Geschehen eingebettet –
es wird nie zu kopflastig. Reine Action kommt so gut wie nicht vor, obwohl viel
passiert. Es ist also insgesamt ein inhaltlich und auch erzählerisch sehr
empfehlenswertes Buch. Es entfachte in mir das Interesse, bis zum Lesen des
nachfolgenden Bandes keine 40 Jahre vergehen zu lassen...
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Textauszüge:
John Boone: „Und als der Flug der Ares andauerte, war die Erde schließlich so weit entfernt, daß sie nicht mehr war als ein blauer Stern unter all den anderen, so weit entfernt, daß sie aus einem früheren Jahrhundert zu stammen schein. Wir waren auf uns allein gestellt und wurden so zu fundamental anderen Wesen.“ Fred Chalmers: „Die lange Reise zum Mars hatte sich in Wahrheit so ausgewirkt wie eine endlose Eisenbahnfahrt. Sie waren nicht nur zu gründlich anderen Wesen, sondern tatsächlich ihrer selbst ähnlicher geworden denn je. Sie waren aller Gewohnheiten entblößt worden, bis nur noch das nackte Rohmaterial von ihnen übrig geblieben war.“ (S. 15) „John sagte: „Der Mars ist ein erhabener, exotischer und gefährlicher Ort“, wobei er eine gefrorene Kugel aus oxidiertem Gestein meinte, auf der sie etwa fünfzehn Rem jährlich ausgesetzt waren. „Und mit unserer Arbeit“, fuhr er fort,“ gestalten wir eine neue soziale Ordnung und den nächsten Schritt in der Geschichte der Menschheit“, also die jüngste Variante in der Dynamik der Vorherrschaft von Primaten.“ (S. 17) Terraforming?
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